Sonntagsspaziergang: „Das Geheimnis der Versöhnung liegt in der Erinnerung“

„Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.“ (Max Mannheimer)

Es ist Sonntag der 27. Januar 2019 und gleich werden die Glocken der Stadtkirche elf Uhr schlagen. Der dunkle, wolkenverhangene Himmel sorgt für eine trostlose Atmosphäre auf dem menschenleeren Marktplatz von Babenhausen. Der einsetzende Regen vervollständigt die gedrückte Stimmung und im aufkommenden Wind weht die auf Halbmast gezogene Deutschlandfahne mit dem extra an ihr angebrachtem schwarzen Trauerflor.

 Links unter der Trauerbeflaggung befindet sich eine Gedenktafel, errichtet von der Stadt Babenhausen im September 1988. Sie soll an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erinnern. Der erste Satz der Gedenktafel aus Marmor heißt „Das Geheimnis der Versöhnung liegt in der Erinnerung.“.
Erinnerung. Als sich im vergangenen Jahr die Ersterwähnung der jüdischen Gemeinde zum 700. Mal jährte, erinnerte sich Babenhausen nicht daran. Auch die Synagoge in Babenhausen konnte 2018 Geburtstag feiern – sie wäre 600 Jahre alt geworden – auch hier erinnerte man sich nicht. Auf eine „Erinnerungskultur“ der schrecklichen Geschehnisse während der Pogromnacht 1938, die sich im vergangenen Jahr zum 80. Mal jährten, kann Babenhausen ebenfalls nicht zurückblicken.
Marktplatz Babenhausen: Die Trauerbeflaggung schlägt an die Rathauswand. Erinnerung: In der Pogromnacht wird der vierzehnjährige Siegfried Kadden von SA-Männern brutal zusammengeschlagen. Siegfried Kadden wurde 1942 deportiert und über Minsk kam er in das Vernichtungslager Maly Trostinez. Zwischen 1942 und 1944 wurden dort 40.000 bis 60.000 Menschen ermordet. Meist
wurden die Opfer in einem
nahegelegenen Wald von Blagowschtschina  erschossen, ohne zuvor im Lager selbst gewesen zu sein. Auf dem Weg von Minsk nach Blagowschtschina wurden aber auch Gaswagen eingesetzt.
Auch die Amtsgasse ist menschenleer. In der Straße eingelassen befindet sich ein Gedenkband. „In der Amtsgasse 16 befanden sich das Schulhaus und die Synagoge der jüdischen Gemeinde Babenhausen. Die Synagoge wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 geplündert und als Bethaus zerstört.“ lautet der vermerkte Text. Nur die Lage in der Babenhäuser Altstadt bewahrte damals die Synagoge vor der Zerstörung durch Brandstiftung, denn der Befehl lautete die Synagoge zu sprengen oder in Brand zu setzen.
Ein paar Meter weiter erinnern sogenannte Stolpersteine an die ehemaligen Bewohner Lina Frank, Albert Frank und Walter Frank. Albert Frank diente während des Ersten Weltkrieges im kaiserlichen Grenadier-Regiment und wurde bei Verdun verwundet. Lina und Albert gelingt 1939 die Flucht über London nach New York. Der gemeinsame Sohn, Walter Frank, konnte schon vor den November-Pogromen fliehen. Über die Schweiz und Italien führte ihn der Weg in die USA. Die Freundschaft der Babenhäuser Ehrenbürgerin Ria Fischer und Walter Frank überdauerte die schrecklichen Geschehnisse. Ria Fischer erinnerte sich oft und gerne an die gemeinsamen Kinderjahre in den historischen Gassen der Babenhäuser Altstadt, als man noch frei aller Zwänge gemeinsam miteinander spielen konnte. Für Walter Frank, der seit 1949 in Lima (Peru) lebt, ist Babenhausen noch immer „dehaam“.
Unweit des Hexenturmes steht zur Erinnerung an die ehemaligen jüdischen Gemeinden von Babenhausen ein Gedenkstein. Das Kunstwerk wurde von dem Babenhäuser Künstler Norbert Jäger aus Carrara-Marmor geschaffen. Unweit der Gedenkstätte stand das sogenannte Judenbad welches 1987 abgerissen wurde. Einige Schritte weiter kann man auf dem Friedhof von Babenhausen eine Gedenktafel für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges sehen. Auf ihr sind mit Isidor Kahn und Hermann Fuld auch zwei Mitglieder der jüdischen Gemeinde Babenhausen vermerkt.
Gelegenheiten für Erinnerungen sind in Babenhausen also gegeben und somit dürften für eine Versöhnung auch keine Geheimnisse bestehen. Hoffentlich bleiben die Erinnerungen unserer Vorfahren lebendig und werden auch in der Zukunft noch wahrgenommen. Mit dem Gedenken an die Opfer wirkt man auch der Gefahr einer Wiederholung entgegen. Daher die Bitte „Erinnern wir uns!“.       hz

 

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