Predigten mit Suchtfaktor

Ruth Vetter ist als Prädikantin seit 25 Jahren im Dienst und feiert Ende April ihren 1000. Gottesdienst

Ruth Vetter

Die Sonntage, an denen sie auf der Kanzel steht, beginnt Ruth Vetter mit dem stets gleichen Ritual. In der Früh setzt sie sich an den Küchentisch mit Blick in den Garten, trinkt ihren Kaffee und geht ihre Predigt noch einmal ganz in Ruhe durch. So wird es auch am 28. April sein – an dem Sonntag, an dem Ruth Vetter ihre 1000. Predigt hält.

Für Ruth Vetter ist es ein Jahr der Jubiläen: Denn sie ist außerdem seit 25 Jahren als Prädikantin im Dienst. Am 22. Februar 1994 wurde sie bevollmächtigt. Den ersten Gottesdienst hielt sie aber schon während ihrer Ausbildung, als nämlich der Brensbacher Pfarrer im November 1992 erkrankte und Ruth Vetter einsprang. Seitdem hat sie im Schnitt 40 Predigten pro Jahr gehalten. Im vergangenen Jahr waren es sogar 52 Gottesdienste, davon vier Trauungen und zwei Beerdigungen. „Es gehört zu meinem Leben“, sagt sie.
Am häufigsten in Neunkirchen
Die Verwaltungsfrau hat von Anfang an eine Liste geführt, welchen Gottesdienst sie wo, wann und mit welchem Predigttext gehalten hat. Der unangefochtene Spitzenreiter ist Neunkirchen mit etwa 130 Gottesdiensten. Mit Ausnahme von Dieburg, Klein-Umstadt, Hergershausen und Messel war sie schon in allen Kirchengemeinden des Evangelischen Dekanats Vorderer Odenwald. Dazu kommen in den Nachbardekanaten Gottesdienste in Traisa, Michelstadt und Gundernhausen. Am dramatischsten seien die beiden Baby-Beerdigungen gewesen. Bei dem einen Baby, dessen Elternpaar sie auch getraut hat, nahm sie auch die Nottaufe vor. „Das geht einem nach.“
Die 65-Jährige stammt aus dem Brensbacher Ortsteil Nieder-Kainsbach, wo sie immer noch lebt. Sie wuchs in einem sehr christlichen Elternhaus auf. Als ihre beiden Kinder noch klein waren, begann Ruth Vetter als Pfarramtssekretärin in Brensbach. Zu dieser Zeit wurde der Wunsch größer, sich mit Theologie zu beschäftigen. Für ein Theologiestudium sei sie zu alt gewesen. So wurde sie zunächst Lektorin und dann Prädikantin. Später arbeitete Ruth Vetter als Verwaltungskraft erst im Evangelischen Dekanat Reinheim und nach der Fusion im Dekanat Vorderer Odenwald.
Bezüge zur Gegenwart und Authentizität
Etwa 10 bis 15 Stunden sitzt Ruth Vetter an der Gottesdienstvorbereitung. Meist hat sie drei Predigten parallel in Arbeit. Um sich in die Predigt einzustimmen, liest sie den Predigttext und lässt ihn erst einmal wirken. „Der arbeitet dann mit mir“, sagt Ruth Vetter. Das habe schon fast Suchtfaktor. „Was mir auch gefällt, ist, Bezüge zur Gegenwart herzustellen.“ Persönliche Erlebnisse mit ihren Enkelkindern oder aus der Notfallseelsorge, bei der sie 15 Jahre lang ehrenamtlich mitgearbeitet hat, sind keine Seltenheit und bauen bei der Bibelauslegung Brücken in die Jetztzeit. „Die Leute müssen spüren, dass Du das bist.“
Ruth Vetter lässt sich gerne was einfallen, arbeitet mit Symbolen oder gibt den Menschen etwas mit auf den Weg – sei es einen Segen oder eine Kleinigkeit, die zum Gottesdienst passt. Bei Hochzeiten und Beerdigungen überreicht sie im Anschluss die Predigt.
„Man erlebt schon einiges“, sagt die deutlich jünger wirkende Frau und berichtet von einem Mann, der im Gottesdienst zusammengebrochen sei. Ein anderes Mal sei beim Abendmahl die Hostie heruntergefallen. Auch den Konfirmand, der trotz Ermahnung im Gottesdienst seine Mütze nicht absetzen wollte, bleibt ihr in Erinnerung.
Und sie selbst? Was bedeutet der Glaube für sie? „Mein Glaube lebt mit mir mit“, sagt die Nieder-Kainsbacherin  und bezeichnet sich als „bodenständige Christin“. Ihr Leitspruch stammt aus Jesaja 43,1: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ Diesen Satz höre sie gerne, denn er bringe zum Ausdruck, dass Gott sich für sie verantwortlich wisse.
Ruth Vetter feiert ihren 1000. Gottesdienst am Sonntag, 28. April, 10 Uhr, in der evangelischen Kirche in Neunkirchen.
Hintergrund
Evangelische Christinnen und Christen können sich für den Dienst als ehrenamtliche Lektorin und Prädikant ausbilden lassen. Der erste Teil der Ausbildung besteht in der Qualifikation für den Lektorendienst. Wer diesen erfolgreich abgeschlossen hat, kann die Ausbildung für den Prädikantendienst anschließen. Lektoren leiten Gottesdienste mit angeeigneten Materialien (Lesepredigt), Prädikanten verfassen ihre Predigten selbst. Sie tragen keine Amtstracht, wohl aber eine „ihrem Dienst angemessene Kleidung“, wie es im Prädikanten- und Lektorengesetz heißt. Mit entsprechender Zusatzausbildung dürfen Prädikantinnen und Prädikanten auch Trauungen, Taufen und Beerdigungen vornehmen.  (Text: S.Rummel / Foto: privat)

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